RurUfer-Radweg im Winter: Von Botrange nach Woffelsbach

Man könnte diesen Bericht beginnen „Und das alles wegen dem verfluchten Diabetes“, aber das wäre nicht ganz richtig. Eine ordentliche Portion Fehleinschätzung der Umstände meinerseits gehörte auch dazu. (Ich habe mir 3 Tage im Voraus Webcams von Orten auf der Strecke angesehen um zu überprüfen ob Schnee liegt. Lasst euch gesagt sein: bezüglich Schnee auf dem LAND hilft es nicht sich ein Bild der STADT anzusehen). Kombiniert mit ein wenig Pech. (Eine Umleitung, von der ich nichts wissen konnte).

Als ich in Düsseldorf mit dem Zug Richtung Aachen losfahre, liegt eine 5-Stündige Nacht hinter mir. Weshalb? Weil mich der Diabetes die 4 Nächte davor regelmäßig geweckt hat, ich dadurch länger schlafen musste, erst später anfangen konnte zu arbeiten und dann noch Wintermäntel auf mein Tourenrad ziehen musste. Selbstverständlich trotz des Wissens darüber und sämtlichen Bemühungen wieder entgegen der Rollrichtung…

Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich überhaupt wach geworden bin. Aber vor mir liegt eine spannende Tour, das hilft wohl.

Mein Fahrrad und ich fahren von Aachen aus dann das erste Mal zusammen mit der belgischen Bahn. Die bringt uns bis nach Eupen – näher ran an den Ausgangspunkt des RurUfer-Radwegs kommt man zu dieser Jahreszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrrad meiner Kenntnis nach nicht.

Von Eupen bis Botrange sind es 23 km. Die Strecke führt landschaftlich sehr interessant an einem steinigen Bach entlang, durch ein Tal mitten im verschneiten Wald. Außerdem geht es bergauf. Aber das wollte ich so, für den Trainingseffekt.

Das letzte Stück bis zum Ausgangspunkt führt mich eine Landstraße entlang. Der zugehörige Radweg ist entweder nicht vorhanden oder eingeschneit, so genau lässt sich das nicht evaluieren. Ein Stück lang versuche ich auf einem eingeschneiten Trampelpfad neben der Straße zu fahren. Das ist leider nicht möglich, der Schnee ist so tief, dass ich die ganze Zeit umfalle. Also naja. Fast. Wenn ich mich nicht abfangen würde. Jedenfalls kann ich sagen: Fahrrad im Tiefschnee geht schon mal nicht. Ich weiche also zurück auf die Landstraße aus.

Als ich am offiziellen Ausgangspunkt der Tour ankomme, bin ich schon recht ausgepowert, dank der Steigung und der kurzen Session im Schnee.

Und dann folgt ein Abschnitt bei dem ich mir jeden Meter selbst dankbar bin, Wintermäntel für die Reifen besorgt und aufgezogen zu haben. Ich fahre durch ein Winterwunderland. Das Wasser in meiner Trinkflasche gefriert währenddessen. 😀

Ich bin dankbar für den durch viele Wanderer festgetretenen Schnee, der sich an manchen Stellen zu Eis geformt hat. (Dankbar, weil ich so fahren kann, anstatt schieben zu müssen). Ich fahre relativ vorsichtig, meine Geschwindigkeit ist dementsprechend. Mir entgegen kommen diverse Wanderer, die mich mal mehr und mal weniger offensichtlich für total verrückt halten.

Es fühlt sich etwas an wie Skifahren auf dem Fahrrad. Zwischendurch Schlittschuh (Ich habe probeweise mit einem Schuh getestet wie rutschig es wäre wenn ich mich nicht auf die Spikes an meinem Reifen verlassen könnte und laufen müsste) und ans Bob-Fahren fühle ich mich auch erinnert, als ich eine vereiste Autoreifen-Spur nachfahre.

Auf dieser Strecke wird mein Oberkörper gefordert: das ganze Ruckeln durch die unebene Oberfläche und die Anspannung und Konzentration um bloß nicht zu stürzen. Fun-Fakt: Eis ist kein Problem, aber man darf nicht in den tieferen Schnee in der Mitte der Fahrbahn geraten.

Meine Beine haben etwas Pause, was dazu führt, dass meine Hände und Füße anfangen zu frieren. Sehr. In meine Handschuhe stecke ich Wärmepads (Danke Mama!), was etwas hilft. In meinem rechten Schuh spüre ich irgendwann den Zeh neben dem großen nicht mehr. Kann einem ein einzelner Zeh abfrieren?

Nach 38 km erreiche ich endlich Monschau. Dort ist gerade Weihnachtsmarkt, was zu Reisebussen voll Menschen führt, die sich durch die historische Altstadt drücken.

Im zweiten Lokal dass ich versuche haben sie noch einen Platz frei. Dort kann ich mich etwas aufwärmen und stärken. Es heißt passenderweise „Hüftgold“. Ich trinke einen Schoko-Kaffee und einen Wintertee mit Orange und Zimt und esse einen fantastischen Flammkuchen mit Camembert, Preiselbeeren und Birne. Danach fühle ich mich wieder hoffnungsvoller, meine Unterkunft in Heimbach heute noch zu erreichen. Davor war ich versucht meinen Freund anzurufen, ob er mich abholen kommen kann.

Ab Monschau führt die Strecke durch die Eifel, was mich sehr freut, weil ich schon viel davon gehört, sie aber noch nicht selbst erfahren habe. Ich habe den Eindruck, dass die Eifel ein Image-Problem hat. Das, was ich gehört habe, war meist nicht so positiv („Da kannst du eine Baggerfahrt durch die Eifel gewinnen“, „Niemand ‚wohnt‘ in der Eifel, selbst die Menschen, die in der Eifel wohnen sagen, sie wohnen in der Voreifel.“). Aber die Gegend ist wirklich richtig schön. Ich kann mir die Gegend auch gut zum Wandern im Sommer vorstellen.

Leider wird es irgendwann dunkel. Und während das in den Örtchen, durch die ich komme, kein größeres Problem darstellt, weil die beleuchtet sind…

Als ich aus Woffelsbach raus, weiter am Ufer des Rursees langfahren möchte, sehe ich eine halbseitige Absperrung der Straße. Dank meines Fahrradlichts kann ich entziffern, dass wohl die Gefahr von herabfallenden Steinen besteht.

Bild am nächsten Morgen aufgenommen

Ich habe einen gewissen Zeitdruck und bin außerdem ziemlich müde. Dementsprechend rede ich mir ein, dass sich das bestimmt nur auf Autos bezieht und ich mit meinem Fahrrad ja auch keine größeren Vibrationen auslöse, durch die da irgendwas fallen würde. Und fahre weiter. Durch die Dunkelheit, im Bemühen den Weg zu treffen. Bis zu einer weiteren Absperrung. Ich muss meine Handytaschenlampe anmachen, um den Text entziffern zu können: „Steinschlag. Lebensgefahr.“.

Das ist eine schwierige Situation. Ich stehe mitten im Nirgendwo im Dunkeln im Wald und der Weg den ich nehmen sollte ist mit „Lebensgefahr“ überschrieben. Zusätzlich alarmiert mich diese Fehlfunktion von Möchtegern-externer-Bauchspeicheldrüse regelmäßig, damit ich gegen die Unterzuckerungen anesse, die sie nicht in der Lage ist selbst zu verhindern.

Ach, das hab ich vergessen zu erwähnen. Während den Zugfahrten nach Eupen habe ich festgestellt, dass meine Nadel verstopft war und nichts von dem Insulin für mein Frühstück heute Morgen angekommen ist. Nachdem ich die Nadel gewechselt hatte und gegen den monströs hohen Zucker angebolt, bin ich dann pünktlich ab Eupen regelmäßig durch die Nervensäge aufgefordert worden zu essen. Andere Leute machen Sport um abzunehmen, ich nehme dank dieser versehentlich zum Markt zugelassenen Beta-Version von Gerät bei Sport zu.

Zurück zur Situation im Wald. Ich beschließe, dass ich zu viel in meiner Vergangenheit überlebt habe, um jetzt in der Eifel von einem Stein erschlagen zu werden. Und suche mit Google Maps eine Alternativroute zu meiner Unterkunft.

Da ich die Halterung für mein Handy vergessen habe, versuche ich mich über Kopfhörer leiten zu lassen. Durch den stockfinsteren Wald.

Das letzte Mal „in 600 Metern links abbiegen“ der Google-Lady kommt mir irgendwann seltsam lang her vor. Ich ziehe mein Handy aus der Jackentasche, um zu überprüfen wie weit es noch ist und stelle fest, dass ich das letzte Mal falsch abgebogen bin und seit einer unbestimmten Zeit in eine verkehrte Richtung mein Fahrrad den Berg im Finstern hochschiebe. In regelmäßigen Abständen unterbrochen von meinem Gerät, welches alle in der näheren Umgebung meinen Standort mitverfolgen lässt. Und in der Folge mich, die im Stockdustern Zucker in sich reinstopft, obwohl ich schon lange keinen Appetit mehr darauf habe und sich dabei beunruhigt umsieht, im hoffnungslosen Unterfangen herannahende andere Menschen rechtzeitig zu erkennen.

Ich hoffe, dass mich kein Axtmörder holen kommt. „Der müsste auch den Berg hoch“, denke ich, „Das heißt er ist nicht zwangsläufig schneller.“ „Aber du hast das schwere Fahrrad.“ „Aber er muss die Axt tragen, die ist sicher auch nicht leicht.“ …

Ich denke drüber nach, mit jemandem zu telefonieren, um der Paranoia Einhalt zu gebieten. Als ich versuche meine beste Freundin anzurufen sehe ich, dass ich hier keinen Empfang habe. Das hilft nicht so richtig gut gegen die Paranoia.

Ich entscheide, dass es keinen Sinn macht nachts im Wald herumzuirren und kehre um. Dank meines Garmins kann ich den Weg zurückverfolgen, den ich gekommen bin, bis ich wieder in Woffelsbach unter einer Laterne ankomme.

Meine erste Idee ist, ein Taxi zu rufen, dass mich und mein Fahrrad zur Unterkunft bringt. Das ist vielleicht teuer, aber während ich so im Wald umhergeirrt bin habe ich gedacht, dass mir kein Geld der Welt etwas bringt, wenn ich tot bin.

Allerdings gibt es hier genau zwei Taxiunternehmen und keins davon ist frei (Monschau, Weihnachtsmarkt, ihr erinnert euch..) und für ein Fahrrad schon gleich gar nicht.

Ich rufe meinen Freund an. Mit meinen letzten 9% Akku. Der lotst mich zur nächsten Gaststätte.

Als ich die Tür zum Restaurant öffne, ruft mir die Bedienung bestürzt entgegen: „Mit dem Fahrrad!“ Dem Gemurmel der anderen Gäste nach zu urteilen teilen sie diese Bestürzung.

Ich fühle mich ein bisschen wie Maria und Josef in einer Person als ich frage, ob sie noch ein Zimmer freihaben.

„Für eine Person? Für eine Nacht?“ – Ich habe draußen gesehen, dass sie eigentlich erst ab zwei Nächten vermieten. „Ich bezahle auch gerne zwei Nächte, falls das hilft.“, antworte ich. „Wären sie mit dem Auto würde ich sie weiterschicken, aber mit dem Fahrrad… Ich rede mit meinen Geschwistern.“

Da ist viel Nächstenliebe im Spiel, auf jeden Fall habe ich mehr Glück als Maria und Josef. „Es ist aber nicht vorgeheizt.“, warnt sie mich noch. Fünf Minuten später bittet sie mich, ihr zu folgen. Ein Gast sagt: „Die Heizung läuft jetzt bestimmt auf Hochtouren.“ Und sie behalten beide recht. Das Zimmer ist zwar eisig, als ich es betrete, aber sie hat die Heizung voll aufgedreht.

Ich muss gestehen, dass ich für dieses Wochenende genug Abenteuer hatte. Morgen fahre ich zum nächsten Bahnhof (~20km Strecke und ~380 Höhenmeter Anstieg entfernt) und dann nach Hause.

Gute Nacht 🌙

Katharina

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